Nimrodel
Einst
lebte eine Elbenmaid
So wie der Morgen hold;
Ihr Kleid, ihr
Schuh war ein Geschmeid
Aus Silberglanz und Gold.
Auf
ihrer Stirne stand ein Stern,
Im Haare spielte Licht
Wie auf
den Hügeln Lóriens fern
Die Sonne heller nicht.
Ihr
Haar fiel reich, und gliederweiß
Und schön war sie und frei
Und
bog sich wie ein junges Reis
Im Wind so sanft dabei.
Am
Wasserfall von Nimrodel,
Der klar und kühl versprüht,
Fiel
sie mit ein wie Silber hell
Ins helle Wasserlied.
Heut
aber kennt sie keiner mehr
Noch ihren Aufenthalt;
Sie fand
nicht Weg noch Wiederkehr
Aus Wildnis, Berg und Wald.
Das
Elbenschiff im Hafen lag,
Am Berge sturmgeschützt,
Und harrte
ihrer Tag um Tag -
Die See ging weißbemützt.
Ein
Sturm kam auf von Norden her
Zur Nacht mit Urgewalt
Und trieb
das Schiff hinaus aufs Meer
Ins Dunkel ungestalt.
Der
Strand, der Berg verschwamm im Dunst
Vertrübt und ungenau,
Die
Wogen türmten sich in Brunst
Und rollten schwer und grau.
Noch
schärfte Amroth seinen Blick,
Noch suchte er die Stell'
Das
Schiff verfluchend - nicht zurück
Trug's ihn zu Nimrodel.
Er
selber herrschte einst im Wald,
Ein König von Geblüt,
Als
Lóriens Macht noch golden galt
Und elbisch sang das Lied.
Nun
schoss er wie ein schlanker Pfeil
Ins Wasser tief hinab
Und
tauchte möwengleich und heil
Hervor aus nassem Grab.
Der
Wind zerwühlte ihm das Haar,
Weiß flog der Schaum um ihn,
Dann
sah man ihn wie einen Schwan
Die Wogen reitend ziehn.
Doch
drang kein Wort von Westen her
In unser Elbenland,
Und. keiner
hörte jemals mehr
Von Amroth, der entschwand.
Text von J.R.R. Tolkien aus "Herr der Ringe"